Das hätte wohl kaum jemand gedacht

Das hätte wohl kaum jemand gedacht

Joel Blunier schaut auf die Bundesratswahlen zurück und erklärt, weshalb die EVP-Nationalräte Christoph Blocher nicht gewählt haben und warum die EVP trotz der neuen Fraktionsgemeinschaft eigenständig ist.

Das hätte wohl kaum jemand wirklich geglaubt: Blocher ist abgewählt, die beiden SVP-Bundesräte aus der Fraktion ausgeschlossen und die SVP in der Opposition. Wahrscheinlich ist auch die SVP selbst überrascht, dass sie nun ihre angekündigte Drohung umsetzen muss. Es werden politische härtere Zeiten auf uns zukommen, die Fronten werden deutlicher sichtbar, die Positionen klarer und unbeweglicher. Das wird dazu führen, dass sich die Parteien eindeutiger positionieren müssen, was grundsätzlich positiv ist. Auch den Medien wird das gefallen. Doch differenzierte Meinungen, wie sie die EVP oft vertritt, werden es noch schwerer haben als bisher. Das zeigt gerade das Beispiel der beiden SVP-Bundesräte Schmid und Widmer-Schlumpf. Dass sie nach wie vor SVP-Mitglied sind, ist nicht entscheidend für die parteiinterne Unterstützung. Sie passen einfach ungenügend ins vorgeschriebene Profil eines linientreuen SVP-Mitglieds. Deshalb lässt man sie fallen wie eine heisse Kartoffel. So wie bereits andere missliebige Parlamentarier aus der Fraktion ausgeschlossen, aus Kommissionen geworfen oder ins Abseits gestellt wurden. Was ist das für eine Partei, die ihren Mitgliedern in den Rücken fällt und sie öffentlich als Verräter (Fraktionsschef Baader über Widmer-Schlumpf am 12.12.2008) betitelt? Nur weil sie ihre eigene Meinung vertreten. Gerade diese Freiheit ist eine urschweizerische Tugend und muss hochgehalten werden. Es ist deshalb ein Hohn, dass sich diese Partei „Schweizerisch“ nennt und gleichzeitig absolut unschweizerisches Verhalten an den Tag legt. Ich bin froh, dass in der EVP nach wie vor verschiedene Positionen Platz haben und auch Personen mit unterschiedlichem Profil in öffentlichen Ämtern Unterstützung geniessen.

 

Christoph Blocher ist nun also nicht mehr Bundesrat. Das Bundeshaus wird er gemäss eigenen Aussagen verlassen, allerdings nicht die Politik. Wahrscheinlich wird er als grosser Mäzen, als Parteipräsident oder beides zusammen wieder in Erscheinung treten. Ich bin jedenfalls froh, dass sich die Situation geklärt hat. Er kann nun seiner Rolle als ungetarnter Oppositionsführer gerecht werden, ohne dass er in der Regierung sitzt und gleichzeitig die Regierung angreift. Was mich an der ganzen Sache aber am meisten nachdenklich stimmt, ist die starke, teilweise ungefilterte Unterstützung Blochers in breiten christlichen Kreisen. Das bekomme ich zurzeit hautnah zu spüren. Uns wird das Christ sein abgesprochen, wir werden in den gleichen Topf mit Kommunisten, Abtreibungs- oder Homo-Ehe-Befürworter geworden oder als Linke betitelt. Dass man als Christ auch zu anderen Schlüssen kommen kann, wird schlicht negiert. Jede politische Sachfrage wird in der EVP neu und losgelöst beurteilt. Manchmal steht man dann auf Seite der Ratslinken, manchmal auf Seite der Ratsrechten oder man findet sich im Zentrum wieder. Die EVP hat sich als Teil der neuen CVP-EVP-glp-Fraktion zu keinen inhaltlichen, programmatischen Zugeständnissen verpflichtet. Sie wird ihre Eigenständigkeit auch in Zukunft behalten können. Auch war die EVP nie Teil einer verschwörerischen Anti-Blocher-Strategie: die EVP hat Blocher bereits vor vier Jahren nicht gewählt. Weshalb sollte sie ihn vier Jahre später plötzlich wählen?

 

In der ganzen Diskussion um die Bundesratswahlen 2007 geht mir aber eines nicht in den Kopf: Weshalb wurde Blocher zu einer Art „Übermensch“ hochstilisiert? Und das gerade von sehr vielen Christen. Was hat er denn so christliches gemacht, dass er schon beinahe wie ein Unfehlbarer betrachtet wird? Dass Blocher in einigen für Christen wichtigen Fragen einen positiven Kurs gefahren ist, ist nicht abzustreiten. Auch hat er mit Sicherheit wirtschaftliches Denken in den Bundesrat eingebracht oder seine Arbeit als Departementsvorsteher im Grundsatz gut gemacht. Seine Wertehaltungen oder Leistungen legitimieren aber noch lange nicht seinen ruppigen und unangebrachten Polit-Stil, z.B. die Verhöhnung seiner Gegner und der demokratischen Institutionen, öffentliches Lügen (Aussagen über kriminelle Kosovo-Albaner), Bruch der Kollegialität etc. Es gilt, jede Regierungsperson einzeln zu beurteilen – und zwar ganzheitlich.  

 

Zum Schluss noch dies: Christen kommen politisch nicht immer auf die gleichen Schlussfolgerungen und legen die Gewichte unterschiedlich. Weder die eine noch die andere Meinung ist daher „die christliche“ Position. Mit den Worten von Paulus wissen wir, dass unser Wissen nur Stückwerk ist (1.Kor.13,9). Das sollte die ganze Diskussion doch etwas relativieren.