Staatssekretär Mario Gattiker: Grundzüge der schweizerischen Asylpolitik


Staatssekretär Mario Gattiker umriss zu Beginn der Tagung die Grundzüge der schweizerischen und europäischen Asylpolitik. Er lieferte die Fakten zur aktuellen Flüchtlingsmisere: 60 Millionen Menschen sind zurzeit weltweit auf der Flucht. Aktuelle Krisenherde sind der grausame Krieg in Syrien und Irak, der Konflikt in der Ost-Ukraine, die Rückkehr der Taliban in Afghanistan und das zerstörte Staatswesen in Libyen sowie das Regime in Eritrea, das bei Rückführungen die Menschenrechte missachtet. Die meisten Flüchtlinge wollten, so Gattiker, in der Region bleiben - und 90% täten dies auch.

«Die meisten Flüchtlinge wollen in der Region bleiben
– und 90 Prozent tun dies auch.»

So wenig Flüchtlinge wie seit 20 Jahren nicht mehr

Mit nahezu 40 000 Asylgesuchen standen Bund, Kantone und Gemeinden der Schweiz 2015 vor grossen Herausforderungen. Die Schweiz nimmt damit europaweit Rang 7 in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen ein - dies allerdings mit dem tiefsten Anteil an der Gesamtverteilung seit 20 Jahren (nur rund 3 Prozent). Denn zum einen liegt die Schweiz nicht direkt an den Migrationsrouten, zum anderen würden bislang in der Schweiz getroffene Massnahmen inzwischen greifen.

Dramatische Unterversorgung in der Region vor Ort

Als Hauptursachen für die aktuelle Flüchtlingswelle nannte Gattiker unter anderem die dramatische Unterversorgung der Flüchtlinge in der Region, etwa in der Türkei, die unabsehbare Länge der Kriege sowie die Unsicherheit in der Türkei. Signale wie die Ankündigung Ungarns, einen Zaun zu errichten oder Deutschlands, das Dublin-Abkommen nicht mehr anzuerkennen, würden diese Vertreibungsfaktoren noch verstärken.

Schutz, rasche Asylverfahren, Integration oder Rückkehr

Ziel der schweizerischen Flüchtlingspolitik sei es, Flüchtlinge und Schutzbedürftige in Rahmen der europäischen Zusammenarbeit aufzunehmen, rasche und faire Asylverfahren sicherzustellen, je nach Fall die Integration beziehungsweise eine konsequente Rückkehr zu ermöglichen sowie möglichst Hilfe vor Ort zu leisten.

Absolut prioritär: Die Hilfe vor Ort

Ein zentraler Schlüssel zur Lösung ist aus Sicht Gattikers die aktive Beseitigung der Fluchtursachen, z.B. durch Friedensarbeit. Der Primat müsse auf der Hilfe vor Ort liegen.

«Ein zentraler Schlüssel zur Lösung ist die aktive Beseitigung
der Fluchtursachen, z.B. durch Friedensarbeit.
Hier beginnt es. Alles andere ist second best.»

Die Programme der internationalen Gemeinschaft müssten endlich finanziert werden, denn es sei "hundert Mal teurer, Flüchtlinge in Europa zu unterhalten als in der Region." Zudem müssten die wirklich verfolgten Flüchtlinge identifiziert, registriert und europaweit gerecht verteilt werden.

Die letzten Scharfrichter des Rechtsstaates

Die verabschiedete Revision des Asylverfahrens würde deutlich raschere, aber weiterhin faire Asylverfahren ermöglichen. Ein guter Rechtsschutz sei unabdingbar, gehe es doch um die höchsten Rechtsgüter Leib, Leben und Freiheit. Fehlentscheide hier würden Folter und Tod dort nach sich ziehen. Es gelte zu verhindern, dass wir zu den "letzten Scharfrichtern des Rechtsstaates" würden. Die humanitäre Tradition der Schweiz sei gefordert, gerade jetzt in der Flüchtlingskrise: "Wir müssen mit Anstand unsere Arbeit machen."

«Ein guter Rechtsschutz ist unabdingbar.
Schliesslich geht es um die höchsten Rechtsgüter
Leib, Leben und Freiheit.
Fehlentscheide hier ziehen Folter und Tod dort nach sich.»