Personen des öffentlichen Lebens sind dem Urteil der Gesellschaft mehr ausgesetzt als „gewöhnliche“ Leute. Das wissen wir nicht erst seit Clinton, Nef oder Palin. An sie werden höhere Anforderungen gestellt. Wer keine weisse Weste hat, sollte sich gut überlegen, ob er eine Position einnehmen soll, die ihm Macht über andere verleiht.
Jugendsünden und Ausrutscher, ja selbst das berühmte Wort zuviel oder zuwenig, können zum Fallstrick werden. Den Schaden tragen die Betroffenen nicht alleine, oft wird ihr ganzes Umfeld in den Strudel mitgerissen. Auch von Vorgesetzten, die ihnen vertrauten, wird verlangt, dass sie ihren Sitz räumen.
Auch eine Situation, die bereinigt wurde, kann einen später einholen. Unbarmherzig schlagen Sittenwächter, Neider, auf der Erfolgsleiter Überholte oder Gemassregelte zu. Stories und Emotionen werden von den Medien bereitwillig aufgenommen, Details recherchiert, die öffentliche Meinung erfragt und Gericht gehalten – auch ohne gültiges Gerichtsurteil. Sie hätten sich halt gar nie für so eine Aufgabe zur Verfügung stellen sollen, sagt man. Auch dann, wenn einer den Neubeginn geschafft hat. Die ach so tolerante
Gesellschaft beisst zu. So sind wir Menschen.
Bei Gott ist das anders: „Ich will nicht mehr an Eure Sünden denken.“ Was scharlachrot sündig war, wird schneeweiss. Das ist möglich, weil Jesus an meiner Stelle die Schuld bezahlt und die Strafe verbüsst hat. Der Mob hat ihn statt mich gehetzt und verurteilt – bis zum Tod am Kreuz.
Zu wissen, dass auch ich ein schwacher Mensch bin, der von der Vergebung profitiert, macht mich im Urteil über andere milder. Selbst wenn Dritte über mich zu Gericht sitzen, Gott bestraft nicht zweimal. „Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferstanden ist.“
Walter Donzé
EVP-Nationalrat aus Frutigen BE
ursprünglich erschienen als Kolumne in idea Schweiz