Gestern Donnerstag hat der Nationalrat mehrere Vorstösse für einen neuen Religionsartikel in der Verfassung beraten. Neben einer Standesinitiative aus dem Kanton Basel-Stadt verlangte eine parlamentarische Initiative von alt Nationalrat Walter Donzé (10.448), dass bewährte christliche und freiheitliche Werte nachhaltig geschützt werden, die Rechtsordnung respektiert wird und der Religionsfriede gewährleistet bleibt. „Insbesondere wäre zu ergänzen, dass jedes Individuum seine Religion oder sein weltanschauliches Bekenntnis frei wählen, ausüben, kommunizieren und wechseln darf und dass es den Schutz des Staates geniesst, wenn es deswegen von extremen Kreisen benachteiligt oder verfolgt wird“, begründete Walter Donzé (EVP, BE) seinen Vorstoss. Im Gegenzug seien die kulturellen und religiösen Organisationen auf die Beachtung der Grundrechte, des Rechtsstaates und der demokratischen Staatsordnung sowie bezüglich Transparenz zu verpflichten.
Im Nationalrat äusserte sich gestern EVP-Nationalrätin Marianne Streiff (BE), welche den Vorstoss von ihrem Vorgänger übernommen hatte: „Ich bin überzeugt, dass der säkulare Staat zu religiösen Fragen Stellung nehmen muss. Er soll sich nicht in religiöse Fragen einmischen, aber den inneren Zusammenhalt, den Religionsfrieden, die Freiheitsrechte und die Menschenwürde gewährleisten.“ Es gehe nicht darum, das Christentum als Leitkultur zu verankern, aber auch nicht darum, es lautlos zu versenken. Die Minarettinitiative habe gezeigt, dass sich Herr und Frau Schweizer sehr wohl Gedanken zum Verhältnis von Staat und Religion machen würden. „Nehmen Sie das Unbehagen und die Verunsicherung des Schweizervolkes ernst! Vermeiden Sie künftige neue Konfrontationen und Parallelkulturen!“ rief Marianne Streiff ihren Ratskolleginnen und –kollegen zu. Auch der Bundesrat habe dem Postulat Amacker (10.3162) erfreulicherweise seine Unterstützung zugesichert.
Dieses Postulat – übernommen von EVP-Nationalrätin Maja Ingold (ZH) und identisch mit der gestern behandelten Basler Standesinitiative – will das Verhältnis zwischen den Kirchen, anderen Religionsgemeinschaften und dem Staat umfassender und verbindlicher regeln. Ein neuer Religionsartikel soll die Religionsfreiheit angemessen präzisieren und die Religionsgemeinschaften dazu anhalten, „die Grundrechte zu achten und zu wahren, die demokratische und pluralistische Ordnung der Schweiz zu respektieren, Toleranz gegenüber Andersdenkenden walten zu lassen sowie Transparenz über ihre Verhältnisse zu schaffen.“ Leider wurden sowohl die Basler Standesinitiative wie auch die parlamentarische Initiative der EVP abgelehnt. Die EVP ist aber überzeugt, dass ein neuer Religionsartikel im obigen Sinn notwendig ist und wird weiter dafür einstehen.
Im 2010 prüfte die EVP eine Volksinitiative für einen neuen Religionsartikel in der Verfassung. Die Tatsache, dass die Schweiz und ihre historischen Errungenschaften auf christlichen Überzeugungen gründen, hätte in der Verfassung festgehalten werden sollen. Weiter hätten Kirchen und Religionsgemeinschaften auf ein von Toleranz getragenes Zusammenleben verpflichtet werden sollen und die Menschenrechte, die Demokratie und den Rechtsstaat respektieren müssen. Eine Vernehmlassung bei kirchlichen Organisationen ergab, dass das Anliegen zwar geteilt wird, die Meinungen über die konkrete Ausgestaltung aber auseinander gehen. Ohne die geschlossene Unterstützung der wichtigsten kirchlichen Gremien wollte die EVP indessen das grundsätzliche Anliegen nicht gefährden und verzichtete schliesslich auf die Lancierung.
Bern, den 16. März 2012/nh