Ausbeutung durch Prostitution – ist das Nordische Modell ein Ausweg?

Die Schweiz ist in Sachen Pro­sti­tu­tion eines der libe­rals­ten Län­der Euro­pas. Das Geschäft mit dem Sex blüht. Doch die jähr­lich bis zu einer Mil­li­arde Pro­fit machen nicht die meist aus­län­di­schen Pro­sti­tu­ier­ten selbst. Sie lan­den aus unter­schied­lichs­ten Zwangs­si­tua­tio­nen her­aus im Milieu und tra­gen lebens­lang die kör­per­li­chen und psy­chi­schen Fol­gen. Kann das Nor­di­sche Modell beste­hend aus Aus­stiegs­hil­fen für die Pro­sti­tu­ier­ten, Kri­mi­na­li­sie­rung der Freier und Auf­klä­rungs­ar­beit die Situa­tion der Betrof­fe­nen in der Schweiz nach­hal­tig ver­bes­sern oder gibt es wirk­same Alter­na­ti­ven? Diese Frage stand im Zen­trum der Fokus­ta­gung der EVP Schweiz am Sams­tag in Bern mit hoch­ka­rä­ti­gen Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten aus der Schweiz und aus Schwe­den.

Par­tei­prä­si­den­tin und Natio­nal­rä­tin Lilian Stu­der betonte in ihrer Eröff­nung die Bedeu­tung die­ser Dis­kus­sion: «Sie ist ein wich­ti­ger Schritt auf unse­rem Weg in eine Schweiz ohne Aus­beu­tung», so Lilian Stu­der.

Armut und Bil­dungs­ferne als Ursa­chen

Am Vor­mit­tag ver­mit­tel­ten Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten einen Über­blick über die Schwei­zer Pro­sti­tu­ti­ons­szene. Der Chef der Ber­ner Frem­den­po­li­zei, Alex­an­der Ott stellte das Melde-, Bewilligungs- und Kon­troll­ver­fah­ren vor, mit dem die Stadt Bern u.a. mit obli­ga­to­ri­schen Erst­ge­sprä­chen, Umfeld­ab­klä­run­gen, Milieu­kennt­nis und inter­kul­tu­relle Kom­pe­tenz sowie koor­di­nier­tem Vor­ge­hen der invol­vier­ten Behör­den ver­sucht, die Rolle der «inter­ve­nie­ren­den und ver­mit­teln­den Ver­wal­tung» ein­zu­neh­men. Er zeigte auch die Ursa­chen der Pro­sti­tu­tion auf wie Armut, Bil­dungs­ferne oder feh­lende Per­spek­ti­ven in den Her­kunfts­län­dern. Die Schweiz müsse end­lich nicht mehr nur über die Sex­ar­beit dis­ku­tie­ren, son­dern über die nicht ziel­füh­ren­den Dis­kurse, die dazu geführt wer­den.

Hor­rende Abzo­cke

Peter Wid­mer, Co-Gründer Heart­wings Ver­ein, zeigte den All­tag der jun­gen Mäd­chen und Frauen im Milieu mit Still­schwei­ge­ge­bot, Gewalt, Druck, Geld­ab­gabe und hor­ren­der Abzo­cke: «Hin­ter fast jeder Frau steht heute ein Sys­tem, das finan­zi­ell davon pro­fi­tiert», so Wid­mer. Poli­zei und Opfer­hil­fe­stel­len schei­ter­ten oft daran, die fak­ti­sche Zuhäl­te­rei und Aus­beu­tung gerichts­ver­wert­bar zu bewei­sen. In einem Video-Beitrag zeigte Psy­cho­the­ra­peu­tin und Ex-Prostituierte Anna Schrei­ber auf, was die Arbeit als Pro­sti­tu­ierte mit der Psy­che einer Frau macht.

Fast alle wol­len raus

Die Co-Geschäftsführerin der Frau­en­zen­trale Zürich, San­dra Plaza bezif­ferte die Lebens­er­war­tun­gen der Pro­sti­tu­ier­ten auf zwi­schen 35 und 40 Jah­ren, Meist sind es Ange­hö­rige eth­ni­scher Min­der­hei­ten, dis­kri­mi­nierte Flücht­linge, Asy­lan­ten ohne Auf­ent­halts­be­wil­li­gung, Opfer sexu­el­ler Gewalt sowie Drogen- oder Alko­hol­ab­hän­gige. «Die Demü­ti­gung durch sexu­elle Gewalt ist so ver­hee­rend wie Fol­ter», zitierte Plaza aus dem Scelles-Report. Zwi­schen 85 und 95 Pro­zent der Men­schen, die sich pro­sti­tu­ier­ten, woll­ten dem­nach damit auf­hö­ren. Plaza stellte den Tagungs­teil­neh­men­den das Nor­di­sche Modell vor mit sei­nen Säu­len Ent­kri­mi­na­li­sie­rung aller Frauen in der Pro­sti­tu­tion, Kri­mi­na­li­sie­rung aller Pro­fi­teure wie Freier, Zuhäl­ter und Bor­dell­be­trei­bende, Aus­stiegs­hil­fen, Auf­klä­rung und Öffent­lich­keits­ar­beit. Noemi Grüt­ter von Amnesty Inter­na­tio­nal stellte dem die Kri­tik am Nor­di­schen Modell gegen­über. Die Pro­sti­tu­tion werde durch ein Sex­kauf­ver­bot nicht redu­ziert, son­dern nur in den Unter­grund ver­la­gert, wodurch Gewalt und Unsi­cher­heit für die Sex­ar­bei­ten­den noch ver­stärkt wür­den.

Freier sind die wesent­li­chen Trei­ber

Der schwe­di­sche Poli­zei­in­spek­tor und mehr­fa­che Buch­au­tor zum Thema Simon Häggs­tröm aus Stock­holm ent­kräf­tete diese Vor­be­halte, wäh­rend er über die Erfah­run­gen der Stock­hol­mer Poli­zei mit 20 Jah­ren Frei­er­be­stra­fung berich­tete sowie Eva­lua­ti­ons­er­geb­nisse vor­stellte. Häggs­tröm benannte die Freier als wesent­li­che Trei­ber für den Men­schen­han­del – denn ohne deren Nach­frage nach Frauen und Kin­dern für sexu­elle Zwe­cke würde die glo­bale Sex­in­dus­trie nicht flo­rie­ren und expan­die­ren. Das Pro­sti­tu­ti­ons­ver­hal­ten schwe­di­scher Män­ner habe sich über die Jahre signi­fi­kant ver­än­dert. Auch die Zustim­mung zur Frei­er­be­stra­fung sei in den Jah­ren zwi­schen 1996 und 2008 von etwas über 30 Pro­zent auf über 70 Pro­zent gestie­gen.

Lösun­gen für die Schweiz

Die anschlies­sende Podi­ums­runde, zu der FIZ-Geschäftsführerin Lelia Hun­zi­ker sowie Natio­nal­rä­tin Mari­anne Streiff sties­sen, dis­ku­tierte, wel­che der gehör­ten Hand­lungs­an­sätze für die Schweiz nutz­bar gemacht wer­den könn­ten bzw. wel­che Anpas­sun­gen oder Alter­na­ti­ven es bräuchte. Aus­stiegs­pro­gramme sowie Hil­fen in den Her­kunfts­län­dern, aber auch Öffent­lich­keits­kam­pa­gnen stan­den dabei unter ande­rem im Fokus.  

Fotos:

EVP Fokus­tag Nor­di­sches Modell Podium (v.l.n.r. Roman Rutz, Peter Wid­mer, Alex­an­der Ott, San­dra Plaza, Lelia Hun­zi­ker, Mari­anne Streiff)

EVP Fokus­tag Nor­di­sches Modell Ple­num

EVP Fokus­tag Nor­di­sches Modell Simon Häggs­tröm

EVP Fokus­tag Nor­di­sches Modell Lilian Stu­der Par­tei­prä­si­den­tin

Kon­takt:
Lilian Stu­der, Par­tei­prä­si­den­tin und Natio­nal­rä­tin: 076 575 24 77
François Bach­mann, Vize­prä­si­dent (Roman­die): 079 668 69 46
Nik Gug­ger, Vize­prä­si­dent und Natio­nal­rat: 079 385 35 35
Mari­anne Streiff, Natio­nal­rä­tin: 079 664 74 57
Roman Rutz, Gene­ral­se­kre­tär: 078 683 56 05
Dirk Mei­sel, Lei­ter Kom­mu­ni­ka­tion: 079 193 12 70