«Es ginge um die Stärkung der Glaub­würdig­keit einer Glaubensgemeinschaft»

Immer wieder taucht die Frage auf der politischen Agenda der Kantone auf: Sollen muslimische Glaubensgemeinschaften staatlich anerkannt werden? EVP-Kantonsrat Marc Jost, selbst Theologe, spricht im Interview über Kriterien, Vorbehalte und Mehrwert einer möglichen Anerkennung - aber auch darüber, wer hierfür eigentlich schon seit vielen Jahren in der Warteschlange steht.

Das Jugendparlament des Kantons Zürich forderte jüngst, dass der Kanton die Grundlagen dafür schaffen soll, muslimische Gemeinschaften analog zur Landeskirche staatlich anzuerkennen. Was hältst du von dieser Idee?

Es geht aus meiner Sicht nicht vorrangig um islamische Gemeinschaften. Man darf nicht vergessen, dass bis heute nur die römisch-katholische und die reformierte Landeskirche einen solchen Status haben. Man müsste zunächst einmal über die unterschiedliche Situation von Landes- und Freikirchen nachdenken. Man sollte das Thema wenn schon in der ganzen Breite anschauen: Welche Glaubensgemeinschaften können denn überhaupt bestimmte Rahmenbedingungen für eine öffentlich-rechtliche Anerkennung erfüllen? Ich denke, verschiedene islamische Gemeinschaften würden bei bestimmten Kriterien in Bezug auf Rechtsstaat und Menschen rechte schon grosse Zurückhaltung zeigen, wenn sie sich denn überhaupt auf einen solchen Prozess einlassen würden.


Müssten islamischen Organisationen dann nicht eben zu solchen Kriterien Farbe bekennen und die radikalen Kräfte würden isoliert?

Das ist eine Stärke dieses Konzepts. Ich hatte in einem Postulat im Berner Grossen Rat vorgeschlagen, ein Vorgehen zu prüfen, in dem wirklich alle Glaubensgemeinschaften die Möglichkeit gehabt hätten, eine gewisse rechtliche Anerkennung zu bekommen, nicht ganz analog Landeskirche. Darin würde es darauf hinauslaufen, dass jede Glaubensgemeinschaft zu den Rahmenbedingungen Stellung nehmen und für sich klären müsste: Sagen wir ja zu diesen Menschenrechten im westlichen Verständnis der Menschenrechtserklärung? Sagen wir ja zur Demokratie und zum Rechtsstaat? Das würde sicher eine gewisse Klarheit bringen zwischen den Gemeinschaften, die sich zu unserer Gesellschaft stellen und diese Kriterien bejahen und solchen, die diesen gegenüber Vorbehalte haben und entsprechend kritisch angeschaut werden müssten.

«Jede Religionsgemeinschaft müsste für sich klären: Sagen wir ja zur Demokratie und zum Rechtsstaat?»

Du hast in deinem Vorstoss im Berner Kantonsparlament von der öffentlichen Anerkennung gesprochen, der sogenannten «kleinen Anerkennung». Was ist der Unterschied zur staatlichen Anerkennung als Glaubensgemeinschaft analog der Landeskirchen?

Eine Landeskirche hat heute die Möglichkeit, Kirchensteuern einzuziehen. Die Verwaltung eines Kantons zieht die Steuern für diese Institution ein. Das ist eigentlich der markanteste Unterschied zur kleinen Anerkennung, die im Einzelnen definiert, unter welchen Voraussetzungen der Staat mit den Glaubensgemeinschaften zusammenarbeitet, zum Beispiel bezüglich der Seelsorge in öffentlichen Institutionen wie Gefängnissen oder bezüglich Nutzung öffentlicher Räume und Schulen oder bezüglich Bauvorschriften.


Was wären die wichtigsten Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, um eine solche kleine Anerkennung aussprechen zu können?

Neben den erwähnten, also der Anerkennung von Rechtsstaat, Verfassung, Demokratie und Menschenrechten, würde ich Transparenz bezüglich Finanzen sowie der Strukturen einer Organisation selbst fordern.Eine Glaubensgemeinschaft müsste auch über eine bestimmte Zeitdauer bestehen, also eine Geschichte und Tradition sowie einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Gesellschaft haben.

 

Was hätte eine Glaubensgemeinschaft davon, wenn sie sich um eine solche Anerkennung bemühen würde?

Allgemein ginge es um eine Stärkung der Glaubwürdigkeit einer Glaubensgemeinschaft. Wer eine staatliche Anerkennung hat, wird weniger schnell in die Sektenecke gestellt und dies zu Recht, da man ja gewisse Voraussetzungen der Öffentlichkeit erfüllt. Neben dem Zugang der Seelsorger zu Spitälern, Gefängnissen, Asylzentren oder anderen öffentlichen Institutionen – was teilweise bereits heute möglich ist - würden für Freikirchen zum Beispiel Kantonalbeiträge für die Jugendarbeit möglich sein oder auch eine Spendenabzugsberechtigung, die heute oft unklar ist. Zudem wären sogar Beiträge an sozialdiakonische Aufgaben denkbar.

«Wer eine staatliche Anerkennung hat, wird weniger schnell in die Sektenecke gestellt und dies zu Recht.»

 

Dann wäre das Konzept der kleinen Anerkennung also auch für hiesige christliche privatrechtliche Organisationen interessant, die dadurch in den Genuss zusätzlicher Rechte kämen?

Auf jeden Fall. Ich denke, das ist auch sehr berechtigt, weil gewisse Kirchen in der Schweiz hier seit über 150 Jahren bestehen und nie mehr als Vereinsstruktur hatten wie zum Beispiel die FEG, das EGW, die Heilsarmee oder die Chrischona. Alle diese Gemeinschaften haben eine sehr lange Präsenz und Tradition in der Schweiz. Bevor man über die Anerkennung jüngerer Glaubensgemeinschaften spricht, müsste man bei denen anfangen, die schon seit Generationen hier sind, die schon sehr lange zur Gesellschaft gehören und die sowohl Menschenrechte als auch demokratische Strukturen beachten. Es würde wohl eher die Ausnahme darstellen, dass muslimische Organisationen die Anerkennung wünschen und die Voraussetzungen erfüllen würden.


Welchen Mehrwert versprichst du dir von einer solchen kleinen Anerkennung für die Gesamtgesellschaft?
du dir von einer solchen kleinen Anerkennung für die Gesamtgesellschaft? Ich bin vor allem der Meinung, dass man es genauer anschauen und prüfen müsste. Ein Postulat würde einem zuerst einmal einen Überblick verschaffen, welche Glaubensgemeinschaften wir überhaupt in unseren Kantonen haben. Ich sehe die Chance vor allem darin, dass es mehr Gerechtigkeit in das Verhältnis von Staat und Religion bringen würde als wir heute haben. Das ist ja wirklich für viele stossend, die nicht einer Landeskirche angehören. Sie merken: Unsere Gemeinschaft dürfte doch eigentlich nicht weniger Rechte haben, wir tun doch auch viel Gutes für die Gesellschaft. Es würde dazu führen, dass das Verhältnis zwischen Staat und Religion gerechter werden würde.