«Langfristig untergraben dreckige Wege den gewonnenen Wohlstand»

Interview mit Dr. Dominic Roser

Die Abstimmung über die Umweltverantwortungsinitiative wird die Debatte über Klimagerechtigkeit, die globale Verantwortung der Schweiz und unseren Einfluss auf die Welt vorantreiben. Welche ethischen und ökonomischen Aspekte dazu wichtig sind, erklärt Dr. Dominic Roser, Dozent und Forscher der Universität Freiburg, im Interview.

Dr. Dominic Roser, 48
ist Ökonom und Philosoph und arbeitet an der Universität Freiburg insbesondere zu den Themen Ethik des Klimawandels, Nachhaltigkeit und Wirtschaftsethik. Privat engagiert er sich als Mitglied in der EVP.

Was ist das Konzept der planetaren Grenzen?
Die Umwelt ist zwar flexibel und erträgt vieles. Aber wir haben sie so schnell und radikal verändert, dass sie jetzt an ihre Grenzen stösst. Genauso wie Ingenieurinnen und Ingenieure eine Gewichtsobergrenze für Brücken festlegen, haben erfahrene Forschende für neun verschiedene Umweltbelastungen Obergrenzen festgelegt. Bei mehreren Belastungen – z.B. beim Stickstoff oder CO2 – sind wir bereits über der Grenze. Unsere «Brücke» in die Zukunft könnte somit einstürzen. Die Umweltverantwortungsinitiative ist wunderbar schlicht: sie fordert das Offensichtliche, nämlich, dass wir diese Grenzen ernst nehmen. Mit den Naturgesetzen lässt sich schliesslich nicht verhandeln – es ist ihnen egal, was wir als wirtschaftlich tragbar empfinden. 

Umweltschutz steht ja oft in einem Zielkonflikt mit anderen Interessen. Welche Zielkonflikte liegen hier vor?
Die Entwicklung der letzten 200 Jahre hat nicht nur die grossen Umweltprobleme geschaffen, sondern auch einen Grossteil der Menschen aus der extremen Armut befreit. Solange saubere Wege in den Wohlstand teurer sind als dreckige, besteht hier ein Zielkonflikt. Wenigstens kurzfristig. Langfristig untergraben dreckige Wege den gewonnenen Wohlstand wieder.

Die Einhaltung der planetaren Grenzen ist im Interesse der ganzen Weltbevölkerung. Welche ethischen Überlegungen drängen sich dadurch für den Schweizer Umweltschutz auf?
Hier liegt ein Schwachpunkt der Initiative. Die Schweiz hat im Umweltschutz eine kleine und eine grosse Aufgabe. Die Kleine: nicht selbst zu Umweltproblemen beitragen. Die Grosse: aktiv Umweltprobleme lösen. Leider betont die Initiative die kleine Aufgabe. Einer heilen Zukunft ist aber viel mehr geholfen, wenn die Schweiz mit ihrem Wohlstand die Forschung zu emissionsfreien Energien fördert, als wenn sie primär ihre eigenen Emissionen verringert. Sogar wenn Mitarbeitende von Clean-Tech-Firmen um die Welt jetten müssen, so ist den Klimaopfern doch mehr geholfen, als wenn sie zuhause im Schrebergarten ihre lokalen Rüebli anpflanzen.

Die Initiative fordert eine sozialverträgliche Umsetzung. Was gilt es dafür zu beachten?
Wir sollten die kleinen Probleme direkt vor der Nase nicht wichtiger nehmen als die grossen Probleme weit weg. Natürlich ist es ungerecht, wenn Klimasteuern Ferien im Ausland nur noch für reichere Schweizer erschwinglich machen. Aber auch ärmere Schweizer gehören zu den reichsten Menschen, die je auf diesem Erdenrund gelebt haben. Die viel grössere Ungerechtigkeit besteht gegenüber den Menschen, deren Flucht aus der extremen Armut wegen des Klimawandels und der Klimapolitik gefährdet ist.

Gerade beim Klimaschutz sind sozial gerechte Massnahmen wichtig für die Akzeptanz. Das CO2-Gesetz scheiterte an der Urne auch, weil Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, von höheren Treibstoffabgaben besonders betroffen gewesen wären. Was wären wirkungsvolle Massnahmen, die sozialverträglicher sind?
Klimaschutz muss billig sein. Das ist Win-Win: es steigert sowohl die Akzeptanz im Norden wie auch die Verträglichkeit mit der Armutsbekämpfung im Süden. Wie kann Klimaschutz für die breite Masse billig werden? Das ist möglich, wenn reiche Menschen und Länder ihr Geld in den technischen Fortschritt investieren. Damit wird saubere Energie, emissionsfreie Mobilität, umweltschonendes Essen etc. billiger als deren dreckige Alternativen.

 

Interview: Dominic Täubert, Leiter Kommunikation EVP Schweiz. Erschien in der Ausgabe 1/2025 des EVP-Mitgliedermagazins AKZENTE.