«Kritik gehört zum Amt, aber mein Wert ist nicht von der Meinung anderer abhängig.»

Interview mit Stadtpräsidentin Eveline Fenner

Seit bald drei Jahren ist Eveline Fenner «Stapi» der Zürcher Stadt Affoltern am Albis. Die 58-jährige Finanzfachfrau war zuvor Präsidentin der Rechnungsprüfungskommission, bevor sie 2022 mit dem besten Wahlresultat in die Stadtregierung und direkt als Präsidentin gewählt wurde. Im Interview erzählt die EVP-Politikerin von ihrer Führungskultur, dem Umgang mit Kritik und der Rolle als Frau in der Politik.

 

Eveline Fenner, wie muss man sich deine Rolle als Stadtpräsidentin vorstellen? Bist du Königin oder Dienerin von Affoltern am Albis?
Ich sehe mich klar mehr als Dienerin. Ich setze meine Fähigkeiten ein für die Menschen unserer Stadt. Auch wenn das Amt manchmal etwas Königliches hat, wenn man an Veranstaltungen zum Beispiel als einzige namentlich erwähnt wird.

«Herzlich willkommen Frau Stadtpräsidentin» – war das am Anfang gewöhnungsbedürftig?
Ja, das war sehr komisch, aber man gewöhnt sich daran und weiss ja auch, dass es kommt. Du bist 2022 bei einer Kampfwahl gegen den Amtsinhaber
als neue Stadtpräsidentin gewählt worden. 

Besonders bescheiden darf man dafür wohl nicht sein?
Es braucht auf jeden Fall Mut. Ich wusste damals, dass es für mich der richtige Zeitpunkt ist und dass ich, wenn ich die Kultur des Stadtrates und der Verwaltung prägen möchte, die Position des Präsidiums brauche.

«Es braucht auf jeden Fall Mut.»

Wie sieht die Kultur der Stadtpräsidentin Fenner aus?
Mir ist eine Kultur wichtig, die wertschätzend ist, alle in Prozesse einbindet und den Dienstleistungsgedanken für die Bevölkerung pflegt. Als Führung
versuchen wir das vorzuleben und den Mitarbeitenden Rückendeckung und Sicherheit zu geben.

Zwei Mitglieder im Stadtrat, einen Kantonsrat und einen Wählendenanteil von bis zu 14% – wie gelang in Affoltern a.A. diese EVP-Hochburg?
Es steht und fällt mit den Persönlichkeiten. Das gilt selbst bei der Proporz-Wahl für den Kantonsrat, wo Daniel Sommer viele Panaschierstimmen
gewinnt. Wir werden gewählt, weil wir hier vernetzt sind, weil man uns kennt. Keine andere Partei hatte damals meine Kandidatur unterstützt. Es war
das Netzwerk meines Netzwerkes, welches zum Wahlerfolg geführt hat.

Gab es auch Kritik, dass die kleine EVP einen weiteren Sitz und sogar das Präsidium anstrebte?
Kritik ist zu viel gesagt, aber es wurde schon auch angemerkt, dass dies der EVP mit ihrer Grösse doch nicht zustünde. Das stimmt ja auch, aber am
Ende zählt in der Exekutive der Seit 2022 stellt die EVP das Präsidium der Kleinstadt zwischen Zürich und Zug. Mensch. Das Parteischild ist dann zweitrangig.

Trotzdem hast du dich entschieden, für die EVP zu politisieren. Weshalb?
Ich wusste, die EVP entspricht meinen Werten, habe schon lange sehr oft EVP gewählt und schätzte die verbindende Mitte-Position der EVP. Als ich mich dann entschied in die Politik einzusteigen, habe ich nochmals das Parteiprogramm durchgelesen und gewusst, dass ich hinter dem stehen kann.

In deiner bisherigen Zeit als Stadtpräsidentin gab ein Thema ganz besonders zu reden: Die 38-Stunden-Woche für städtische Angestellte. Was hat es damit auf sich?
Das war eine Idee des Stadtrates: Da die Stadt als Arbeitgeberin beim Lohn nicht mehr wettbewerbsfähig war, wollten wir statt einer einfachen Lohnerhöhung eine 38-Stunden-Woche bei gleichem Lohn einführen. Diese Pläne kamen bei der Bevölkerung und dem Gewerbe sehr schlecht an. Wir hatten aber die Kompetenz das als Stadtrat selbst zu entscheiden, haben uns dann aber geeinigt, das Anliegen freiwillig an die Urne zu bringen. Das Resultat war deutlich: Der Stadtrat musste eine grosse Niederlage einfahren. Das müssen wir akzeptieren, auch wenn wir die Idee immer noch sinnvoll finden – wir haben das Volk mit diesem kreativen Ansatz wohl überrumpelt.

«Wir haben das Volk mit diesem kreativen Ansatz wohl überrumpelt.»

Die Kritik speziell an dir war heftig. Wie bist du damit umgegangen?
Das war zeitweise nicht einfach. Aber als Stadtpräsidentin gehört es dazu, bei Erfolg wie Misserfolg hinzustehen. Jeder Mensch hat lieber Streicheleinheiten als Ohrfeigen, aber ich finde, solange es respektvoll bleibt, gehört es zum Amt und zur Demokratie dazu, auch laute Kritik entgegenzunehmen. Ich habe gelernt damit umzugehen und bin an solchen Situationen gewachsen. Und aus meinem Glauben weiss ich, dass mein
Wert nicht von der Meinung anderer abhängig ist. Das erleichtert es, trotz Kritik Politik aus Liebe für die Mitmenschen zu machen.

Und wenn es nicht mehr respektvoll ist?
Dann habe ich auch schon einen Einwohner auf ein Gespräch eingeladen – und eine Entschuldigung bekommen. 

Die Stadt Affoltern am Albis wächst. Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen? 
In einer wachsenden Stadt wächst auch der Bedarf an Infrastruktur, es gilt Schulen und Kindergärten zu bauen. Das kostet und es ist eine Herausforderung, diesen Bedarf kostenbewusst zu erfüllen und gleichzeitig die Qualität hochzuhalten. Da braucht es Weisheit, die richtigen Prioritäten zu setzen. Bei uns kommt hinzu, dass Affoltern sich oft noch etwas als Dorf sieht. Das Wachstum ist also auch mit einem kulturellen Wandel zu einer urbaneren Gesellschaft verbunden.

Viele Aufgaben der Gemeinden sind gesetzlich vorgeschrieben und Ausgaben gebunden. Wie gross ist der Handlungsspielraum der Exekutive
noch?
Es ist doch mehr als ich gedacht habe. Und je tiefer ich mit der Zeit in den Dossiers drin bin, desto mehr sehe ich auch den Gestaltungsspielraum – auch bei gebundenen Ausgaben gilt es zu entscheiden, auf welche Art die Leistung erbracht wird.

Wenn es um die Bundespolitik geht, fühlen sich viele machtlos. Wie erlebst du das auf kommunaler Ebene? Wie gelingt eine partizipative Politik?
Wir versuchen neue Wege zu gehen mit einer frühen Einbindung der Bevölkerung und geeigneten Tools. Gerade die Einbindung jüngerer Bevölkerungsgruppen ist nicht einfach – so besteht die Gefahr, dass nur eine kleine Minderheit mitredet oder Menschen, welche die Politik als Projektionsfläche für ihre Unzufriedenheit nutzen. Als Politikerinnen und Politiker kommt uns so weiterhin eine wichtige Rolle zu, um in der Bevölkerung vernetzt zu sein und für die Menschen ein offenes Ohr zu haben.

Was würdest du Menschen auf den Weg geben, die sich überlegen für ein Regierungsamt zu kandidieren?
Es lohnt sich auf jeden Fall! Man muss sich aber der Komplexität der Aufgabe bewusst sein, dass man sich mit diversen Themen auseinandersetzen
muss, die nicht sein Kernthema sind. Denn die Fachpersonen in der Verwaltung können beraten, die Entscheidung trifft man aber selbst.

Im Stadtrat habt ihr eine Frauenmehrheit. Spielt das Geschlecht in der Politik noch eine Rolle?
Ja, es gibt noch immer Menschen, die sich bei Politikerinnen fragen, «Kann die das überhaupt?». Die beste Antwort darauf ist, mit Kompetenz zu überzeugen. Nach meiner ersten Gemeindeversammlung waren die Vorurteile rasch abgebaut. Männer können sich da mehr Fehler erlauben. 

« Nach meiner ersten Gemeindeversammlung waren die Vorurteile rasch abgebaut.»

Das ist unfair.
Ja. Aber es ist leider die Realität. Die Messlatte für Frauen in der Politik ist noch immer höher. Gleichstellung ist erst erreicht, wenn das Geschlecht nicht mehr beeinflusst, für wie kompetent eine Person gehalten wird.

Liebe Eveline, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin gutes Gelingen im Amt!

Eveline Fenner

ist Stadtpräsidentin von Affoltern am Albis und Buchhalterin eines KMUs. 

Zuvor arbeitete sie als Standortleiterin der Heilsarmee Affoltern am Albis sowie als Finanzverwalterin einer Gemeinde. 

Sie ist 58 Jahre alt, verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Dieser Artikel von Dominic Täubert, Leiter Kommunikation EVP Schweiz, erschien in der Ausgabe 2/2025 des EVP-Mitgliedermagazins AKZENTE.